Der Graf – eine kleine Glücksgeschichte
Im September 2015 waren Herr und Frau Hirter aus Gossau mit ihrer Hündin Thalia auf einem Waldspaziergang unterwegs, als sich Thalia plötzlich nicht mehr von der Stelle rührte. Beim Nachschauen, was ihre Hündin dermassen fesselte, fanden die beiden einen neugeborenen, stark unterkühlten und verletzten Katzenwelpen, der wohl von Wildtieren aus seinem Wurf verschleppt worden war. Sofort brachten sie ihn in die Tierarztpraxis in Gossau.
So kam das kleine Kätzchen zu mir. Es war knapp 100 Gramm schwer, über und über mit Fliegenmaden bedeckt, so stark unterkühlt dass seine Temperatur nicht mehr messbar war, und wie alle kranken Welpen stark unterzuckert und ausgetrocknet. Aber man merkte sofort, dass der kleine Kater ein Kämpfer war und leben wollte. Wir wärmten ihn vorsichtig und versorgten ihn mit Infusionsflüssigkeit mit Zuckerzusatz. Das Auswaschen der Fliegenmaden aus seinem Fell dauerte alleine über eine Stunde. Als er wieder aufgewärmt war, durfte er alle Stunde eine kleine Milchportion bekommen, was in der ersten Nacht von einer lieben TPA übernommen wurde.
Am nächsten Tag war er schon viel fitter, allerdings zeigte sich, dass sich Fliegenmaden auch in der Bindehaut der Augen eingenistet hatten. Deshalb bekam er Medikamente, um diese abzutöten, was in seinem Alter und Zustand nicht ganz risikolos war. Aber auch hier siegte sein Lebenswille. Die Aufzucht von Katzenwelpen, denen die Mutter fehlt, ist etwas sehr schönes, aber auch sehr zeitintensives. Am nächsten Tag zog er daher zu mir nach Hause um, wo ihm mein Mann ein kleines Böxli mit Wärmflasche und Frottetüchern herrichtete. Der Hunger war enorm, und die Betreuung intensiv.
Alle zwei Stunden bekam er Welpenmilch, zuerst mit der Spritze, später mit dem Schoppen. Die Bettflasche musste neu gefüllt und das Bäuchlein nach jeder Mahlzeit massiert werden, um die Verdauung anzuregen. Mein Mann und meine Schwester beteiligten sich stark an seiner Versorgung, wenn ich am Arbeiten war.
So erhielt der Kleine gleich den Namen «Graf», passend zu seinem Aufgebot an Betreuungspersonal. Ich habe als Tierärztin mit Spezialgebiet Fortpflanzung schon zahlreiche Welpen auf die Welt gebracht in Notkaiserschnitten, Welpen aufgezogen denen die Mutter fehlt oder Welpenaufzuchten betreut. Aber der kleine «Graf» war und ist ganz besonders. Er hatte einen unglaublich schwierigen Start, aber auch so viel Glück, dass er gefunden wurde. Er brauchte intensive medizinische Betreuung, aber auch seine eigene Kraft, um zu dem gesunden und schönen Kater heranzuwachsen, der er heute ist. Er hat in mein Leben sehr viel Glück und Freude gebracht. Ob ihm sein Name bewusst ist, weiss ich zwar nicht, aber sein Verhalten ist, auch heute mit jährig, durchaus dem eines Grafen würdig.
Bei der Namenssuche für die Tierarztpraxis scheint er auch ein Wörtchen mitgesprochen zu haben. Nicht jeder Kater kann von sich behaupten, eine eigene Praxis zu besitzen!